Freiwilligendienste in Ländern des globalen Südens unterlagen vor einigen Jahren einem starken Aufschwung. Seit dem liegt es im Trend als junger Mensch in die Welt hinauszuziehen und Erfahrungen in einer fremden Kultur zu sammeln. Auch die Kritik wurde lauter und verbreitete sich nicht weniger stark als die Werbebroschüren für neue Freiwillige. Lässt sich ein Schluss dieses Gegensatzes ziehen?

Der Trend des Freiwilligendienstes

Eie Erhebungen über „Freiwillige in internationalen Freiwilligendiensten“ zeigen, dass im Jahr 2015 erstmals mehr als 8000 Freiwillige von Organisationen ins Ausland vermittelt wurden. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Anzahl um 16% zugenommen und im Vergleich mit dem Jahr 2006 hat sich der Wert sogar verdoppelt. Dieser Aufwärtstrend ist mit einem Aufschwung der staatlich geregelten Dienste zu erklären, während die privatrechtliche Sparte langfristig gar eine Abnahme verzeichnet.

Abbildung 1: gesetzlich geregelte Freiwilligendienste (G-FD) und Dienste auf privatrechtlicher Basis (P-FD) in der Entwicklung von 2006 bis 2015

Die von Ministerien erschaffenen und teilfinanzierten Freiwilligendienste stehen auch im Fokus vieler Kritiker, da Steuergelder in deren Erhaltung fließen und kein offensichtliches Ergebnis des Aufwandes vorliegt. Die umfangreichsten dieser Programme sind der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) und der Freiwilligendienst weltwärts.

Im Kreuzfeuer der Kritik

Diese Programme stehen in der Kritik und oft greift konstruktive Kritik an empfindlichen Stellen an und ist berechtigt. Die Frage ist, wo der Wert des Freiwilligendienstes liegt. Hauptsächlich Abiturienten nehmen die beiden dominierenden Programme in Anspruch, bevor sie sich für einen Studiengang oder Berufsweg entscheiden. Somit sind es überwiegend Menschen im Alter von 18 bis 22, die sich aufmachen in den Freiwilligendienst. Diese Menschen haben selten berufliche Erfahrung die sie in ihr Projekt einbringen, oft sprechen sie nicht die Sprache des Einsatzlandes und es fehlt grundlegendes Wissen über Entwicklungszusammenarbeit. Dazu kommen der Kulturschock, die Konfrontation mit Armut, Krankheiten und Kriminalität, sowie das Heimweh. „Fünf Monate ist die Zeit, die man (der Freiwillige) braucht um sich einzuarbeiten“ sagt Nicola, die Verantwortliche einer Einsatzstelle in Ecuador. Fünf Monate, die teilfinanziert werden vom Bundesfamilienministerium oder dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; fünf Monate, in denen der Freiwillige mehr im Weg rumsteht als einen Beitrag leistet. Und was ist nach den fünf Monaten? Kann die Arbeit des Freiwilligen im Projekt nicht von einem erfahreneren Einheimischen schneller erledigt werden? Ist nicht sinnvoller, statt in Unterkunft und Verpflegung direkt in das Projekt zu investieren?

Abbildung 2: Kritische Stimmen aus der Wissenschaft (Kontzi, von Braunmühl), von Veteranen der Entwicklungszusammenarbeit (Pinger & Neudecker) und einer Aufnahmeorganisation deutscher Freiwillige (Donkor)

Ja, die Arbeit kann schneller erledigt werden von erfahrenen Einheimischen. Und ja, es kann auch sinnvoller sein, direkt das Projekt zu finanzieren. Bezieht man das Wort Entwicklung in der Bezeichnung Entwicklungszusammenarbeit auf die Entwicklung von Infrastrukturen und sozialen oder ökologischen Projekten und möchte man diese Entwicklung unterstützen, dann scheint ein Freiwilligendienst tatsächlich nicht so angebracht wie andere Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit. Damit ist den Freiwilligen mit ihren Idealen und lobenswerten Motivationen der Sinn ihres Einsatzes abgesprochen. Oder nicht?

Ein anderer Blickwinkel auf die Entwicklungszusammenarbeit

Entwicklungszusammenarbeit ist eine Wortzusammensetzung aus zwei Bestandteilen. Die Aussage des Wortes Zusammenarbeit ist deutlich: Hier wird gemeinschaftlich ein Vorhaben verfolgt, nicht einseitig auf die Erreichung eines Vorhabens hingearbeitet, sondern von beiden Seiten zusammen. Die Deutung des zweiten Bestandteils ist anspruchsvoller, er ist mehrdeutig. Denn das Wort Entwicklung kann in diesem Zusammenhang wie oben beschrieben als Ausbau von Infrastrukturen und für soziale oder ökologische Projekte stehen, aber dies ist nicht die einzige Bedeutung. Entwicklung stellt einen Prozess, eine Genese von einem Vorangegangenem zu einem Zukünftigem dar. Es kann sich um einen Ausbau handeln, aber auch um eine Veränderung, eine Kreation oder eine (Neu)Schöpfung.

Wagen wir ein Gedankenexperiment und stellen Entwicklung in einen anderen Kontext:

Freiwilligendienste als Teil der Entwicklungszusammenarbeit?

„Es zeigt sich, dass die Freiwilligen ihr Jahr […] als Lern-Jahr wahrnehmen“ und es werden verschiedene Kompetenzen erworben: „das Erkennen der globalen Entwicklung sowie der soziokulturellen und biologischen Vielfalt, […] das Bewerten von eigenen und fremden Leitbildern sowie […] das Handeln für eine gerechte Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeit.“ (Schleich, 2011)

So lautet das Fazit eines Artikels über das Globale Lernen im Entwicklungspolitischen Freiwilligendienst weltwärts. Bei einem Vergleich dieses Fazits mit unserem Gedankenexperiment ist es nicht schwer Bezüge zu finden. Ein Erkennen, hier von globalen Entwicklungen sowie der soziokulturellen und biologischen Vielfalt, ebnet den Weg für eine Vermehrung des Wissens. Ein Bewerten von eigenen und fremden Leitbildern ist dem Abbau von Vorurteilen gleichzustellen und das Handeln für eine gerechte Entwicklung im Sinne der Nachhaltigkeit kann als Kreieren von Ideen, Kompetenzen und Partnerschaften zur Bekämpfung der globalen Ungerechtigkeit angesehen werden. Von dieser Perspektive aus darf der Freiwilligendienst als angemessene Maßnahme

der Entwicklungszusammenarbeit angesehen werden. Doch unsere Definition der Entwicklungszusammenarbeit ist doch nur ein Gedankenexperiment gewesen, das fußt doch auf keinen Belegen!

Ist dem so? Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschreibt die entwicklungspolitische Informations- und Bildungsarbeit als einen Arbeitsbereich der Entwicklungszusammenarbeit, zu dem auch die Freiwilligendienste gehören. Gucken wir ergänzend noch auf zwei Ziele eines Freiwilligendienstes selbst:

Abbildung 3: Der Freiwillige mit lobenswerten Idealen und Motiven im Ausland. Ein schöner Schein, aber wo liegt der Nutzen?

„[…] [D]as weltwärts-Förderprogramm […] [soll] dazu beitragen ‚Bewusstsein und Wertschätzung für die Vielfalt von Leben und Entwicklung’ sowie ‚Verständnis für die Abhängigkeit des eigenen Lebens im globalen Kontext’ zu schaffen [und] ‚den Freiwilligen den Erwerb von Qualifikationen und Erfahrungen ermöglichen, die für ihre persönliche Entwicklung, weitere Berufsorientierung und ihre Arbeit als Multiplikatoren im Feld der entwicklungspolitischen Inlands- und Bildungsarbeit nach Rückkehr hilfreich sind […]’“[if supportFields]> CITATION BMZ11 \l 1031

Der Wert von Freiwilligendiensten

Das Ziel von Freiwilligendiensten ist nicht, dieselbe Entwicklungszusammenarbeit zu leisten wie die mit professionellen Entwicklungshelfern oder mit Projektförderung. Die Freiwilligen sind Teil – d.h. Zielgruppe und Träger – einer Informations- und Bildungsarbeit. Ihre Rolle in den Projekten ist jene eines aktiven Beobachters. „Kompetenzen sind nicht durch reinen Wissenstransfer zu erwerben. Denn die Einzelne lernt nicht das, was ihr von außen vermittelt wird, sondern das, was in ihr bewirkt wird […]. […] Wenn das Lernen zudem in einer neuen Situation stattfindet, kann es besonders prägend sein, da sich die Lernende nicht einfach anpassen, sondern vielfältig mit der neuen Situation auseinandersetzen muss“ (Gritschke, 2011). Bei Freiwilligendiensten findet die Entwicklung in den Köpfen der Freiwilligen und auch der Menschen in den Gastländern statt.

Abbildung 4: Der Freiwilligendienst weltwärts ist der Entwicklungszusammenarbeit indirekt untergeordnet

In die Entwicklungszusammenarbeit als ein Mensch mit rund 20 Jahren reinzuschnuppern ist eine Chance für die Zukunft, in erster Linie für die individuelle, nur indirekt für die globale. Es liegt in der Hand der Freiwilligen kritisch den eigenen Einsatz zu betrachten, nur so kann sich der Zweck der Programme erfüllen. Viele gibt es, denen die Worte „Ich bin hier um zu helfen!“ auf den Lippen liegen, aber ebenso viele, bei denen es heißt: „Ich bin hier um zu lernen, wie ich helfen kann.“

VISIONEERS begleitet Freiwillige auf ihrem Weg in fremde Kulturen. Ich bin einer von ihnen. Die Wege sind spannend, wenn auch manchmal steinig. Mit dem Willen zu helfen bin ich in meinem Projekt gegen die Wand gerannt. Ich ließ mich davon niedergeschlagen und musste erst verstehen, was hinter dem Freiwilligendienst für eine Absicht steckt. VISIONEERS ließ mich vorweg kritisch meinen Einsatz hinterfragen, doch erst jetzt, bereichert um meine eigenen Erfahrungen, verstehe ich, was man ausrichten kann und was nicht.

Du möchtest mehr von meinem Einsatz und denen meiner Mitfreiwilligen wissen? Hier in VISIONEERS‘ Blog in der Kategorie Freiwilligenarbeit Costa Rica findest du Erfahrungsberichte von uns. Viel Spaß beim Stöbern!

Du hast genug gelesen und es ist an der Zeit eigene Erfahrungen zu sammeln? Ich habe Freiwilligenarbeit auch erst verstanden als ich schon mittendrin steckte im Abenteuer. VISIONEERS bietet dir die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes in einer fremden Kultur. Hier findest du weitere Informationen.

Quellen der Zitate

BMZ, Referat Evaluierung der Entwicklungszusammenarbeit. (2011). BMZ-Evaluierungsberichte 056 – Der entwicklungspolitische Freiwilligendienst “weltwärts”. Bonn: Bundesministerium für wirtschftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Donkor, C. (2014). Dokumentation Blickwechsel – Sichtweisen auf deutsche Freiwillige. (C. Weinert, Interviewer)

Gritschke, H. (2011). Motive für den Kompetenzerwerb im Freiwilligendienst weltwärts. In H.

Gritschke, C. Metzner, & B. Overwien, Erkennen, Bewerten, (Fair-)Handeln (S. 376). Kassel: kassel university press GmbH.

Kontzi, K. (2011). Postkoloniale Perspektiven auf “weltwärts”. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Pinger, W., & Neudecker, R. (März 2009). Bonner-Aufruf. Abgerufen am 27. Juni 2017 von Aufruf/Plus: www.bonner-aufruf.eu

Schleich, K. (2011). Globales Lernen im Entwicklungspolitischen Freiwilligendienst weltwärts. In H. Gritschke, C. Metzner, & B. Overwien, Erkennen, Bewerten, (Fair-)Handeln (S. 376). Kassel: kassel university press GmbH.

von Braunmühl, D. C. (2008). Stellungnahme aus Sicht der Forschung. In P. Niggli, Der Streit um die Entwicklungshilfe (S. 210). Zürich: Alliance Sud.